Menschliche Würde in Unternehmensbezügen – Ein Paradigmenwandel?

... (kurz: der Mensch, der nach der größten Nutzenmaximierung innerhalb kürzester Zeit strebt) und der Homo idealistic (kurz: der Mensch, der in Idealen bis hin zum Dogmatismus die Lösung aller menschlichen Herausforderungen sieht) gemeinsam? Bevor du nun weiterliest, welche spontanen Assoziationen oder Fragen kommen dir dazu in den Sinn?

Homosapiens als Homo oeconomicus und Homo idealistic?

Mir kamen folgende Gedanken. Zuerst einmal erscheinen beide Lebenskonzepte monomanisch. D.h., eine jede Ausprägung verfestigt ihr absolutes und auf sich bezogenes Interesse, und beide stehen sich ohne die Möglichkeit, die andere Perspektive wahrzunehmen, auf jeweils einer Seite einer unüberbrückbar scheinenden Mauer gegenüber.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte der menschlichen Evolution hat sich die europäisch geformte Ökonomie zum Motor einer globalisierten Welt entwickelt. Prinzipien eines immer weiter, immer effizienter, immer optimierter, immer leistungsstärker, immer kosteneinsparender haben sich wie ein Virus über den Erdball ausgebreitet. Scheinbar stellt diese ökonomische Sicht weltweit das vorherrschende Leitbilder heutigen Zeit dar. Drei Beispiele belegen die Veränderungen.

  1. In China werden die Prinzipien noch perfektioniert mit dem Modell 9-9-6. Heißt: von 9h morgens bis 9h abends an 6 Tagen die Woche arbeiten.
  2. Auch führen technische Möglichkeiten einer zukünftig scheinbar unausweichlichen Künstlichen Intelligenz immer mehr zu solchen transhumanistischen Projekten, an die George Orwell in seinem Roman 1984 oder auch die Macher der Serie Star Treck noch nicht mal haben denken können.
  3. Yuval Harari schreibt in seinem Buch Homo Deus über die IT-gestützten Projekte auf der Basis des schon vorhandenen Datenmaterials, dass die neue sinnstiftende Religion schon als Dataismus bezeichnet wird.

Unter Berücksichtigung allein dieser wenigen Beispiele leite ich eine nächste Evolutionsstufe ab, deren Umsetzung in den Händen weniger, global handelnder Unternehmen zu liegen scheint. So befinden sich beispielsweise bei Google schon konkrete Projekte in der Umsetzung, die in der Stratosphäre Ballons einsetzen, um Internetverbindungen bis in den letzten Winkel der Erde zu bringen. Es folgt hier offensichtlich die Fortsetzung der in den letzten Jahren konditionierten Haltung, vor allem „Fortschritt durch Technik“ zu erreichen. Der Prämisse, über Beschleunigung und Bequemlichkeit die nächste Evolutionsstufe des Homo sapiens zum Homo digitalis zu ermöglichen - komme was da wolle - wird scheinbar so gut wie alles andere untergeordnet. Hauptsache länger leben, nicht mehr krank werden und dem Hedonismus noch mehr Raum geben. Der Ausgang all dieser Möglichkeiten für die Spezies Mensch ist ungewiss - doch sicherlich handelt es sich hier kurzfristig um ein finanziell und gedanklich anregendes Erfolgsmodell. Soweit zum Homo oeconomicus.

Der von mir benannte Homo idealistic hingegen bewegt sich häufig in retroromantischen Bildern einer zumeist als „besser“ empfundenen Vergangenheit. Er glaubt an das Gute im Menschen und eine Natur, in der die Lebensvoraussetzungen gut aufeinander abgestimmt sind. Ideelle Konzepte stammen u.a. von Künstlern und aus den verschiedenen Religionen. Eine durch den gelebten Luxus westlicher Staaten begründete ausgleichende Entwicklungshilfe von Nord nach Süd, eine allein auf die Bedürfnisse des Menschen konzentrierte Flüchtlingsarbeit oder auch die Friedenspolitik der 70-er Jahre oder die ökologische Bewegung begründeten viele ideelle Konzepte. Durch die nähere übersichtliche Vergangenheit geprägt, orientiert sich der Homo idealistic oft am Defizit der Gegenwart, da es ja „wohl offensichtlich ist“, welchen Preis die ungleiche Verteilung des Materialismus zur Folge hat. Diese Ansichten münden oft in politische Forderungen, Demonstrationen, Unterschriftenaktionen, Petitionen oder auch Überzeugungstiraden in persönlichen Gesprächen.

Erste Schlussfolgerung

Wozu führen mich die beiden Skizzen? Es scheint mir so, als ob das Überleben des Homo sapiens seit 100.000 Jahren dadurch gesichert wurde, dass das Zusammenspiel von Natur, von Tieren, Pflanzen und Menschen den Großteil der Geschichte ausmachte. In den letzten zwei Jahrtausenden jedoch hat der Mensch vor allem die Verwertungsgesichtspunkte in den Fokus gesetzt und dadurch auch weitere radikalisierte separierte Anliegen mit extrem starken Identifikationen hervorgebracht (siehe die obigen Skizzen).

Bei mir entsteht dabei folgendes Bild: Mir kommt es so vor, als würde eine Armada von Holzflößen (diverse Homo idealistic) mit ihren hehren Zielen über den wunderschönen Ozean des ökonomischen Erfolgs (Homo oeconomicus) paddeln. Die Flöße versuchen jeweils, eine Insel zu erreichen. Jede dieser Inseln hat einen anderen Namen, wie etwa: „Frieden auf der ganzen Welt“, „Alle Menschen sollen nur Bio essen“, „Autos sind abzuschaffen“, „keine Gewalt“, „keine Kinderarbeit“ etc.. Oft hat der Homo oeconomicus jedoch durch die effiziente Nutzung der Maschinen die Insel bereits urbar gemacht und fährt mit seinen Schnellbooten zu neuen Ufern. Aufgrund des großen Einsatzes und der Kraftanstrengung, die jeweilige Insel unbedingt erreichen zu wollen, geht vielen Paddlern die Luft aus. Die Stimmung auf den Holzflößen ist von Anstrengung, Schwere und Frust getragen. So wird immer wieder eine neue Insel angesteuert, doch der Homo oeconomicus hat die Ressourcen (heißt das ideelle Anliegen) oft schon abgebaut und allein die Saat übrig gelassen. So paddelt der Homo idealistic dem Homo oeconomicus häufig hinterher. Und wenn die Insel zu spät oder ohne ausreichende Ressourcen vorgefunden wird, werden Nutzenmaximierer allein verantwortlich gemacht. Das Gesamtsystem und die eigenen Versäumnisse geraten dabei oftmals aus dem Blickfeld. So entstehen dualistische Bilder von „Gut und Böse“ bzw. „richtig und falsch“, die die systemischen Bezüge alles Lebendigen vernachlässigen.

Zweite Schlussfolgerung

Immer neue Anliegen helfen somit nicht weiter, eher könnte der Versuch unternommen werden, Synergien und gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Das erreicht man aber nicht durch Agitation und Vorwürfe, sondern eher durch eine gemeinsame Sichtweise auf die Wurzeln. Denn jeder Mensch ist Teil alles Lebendigen und dessen Existenz ist zeitlich begrenzt. Mit welcher Berechtigung sollte es der Spezies Mensch da anders ergehen als etwa dem Dinosaurier oder dem Weißen Nashorn? Vor diesem erweiterten Horizont stellt sich für mich nicht mehr die Frage, ob Homo sapiens irgendwann sterben wird, sondern allein wann. Diesen Zeitpunkt aber möglichst weit hinauszuschieben, ist mein Ansporn. Ganz persönlich und als Mensch. Dabei helfen mir verschiedene Weisheitslehren, die mir aufzeigen:

  • wie wenig nachhaltig vordergründig gelebte Werte- und Lebenskonzepte sind,
  • ob Menschen sich dem Lebendigen vor allem über den Schein annähern,
  • ob Forderungen an andere Überhand nehmen,
  • ob Identifizierungen mit fremden Leitbildern erfolgen,
  • ob Konzepte wie „etwas zu sein“ dominieren,
  • ob die eigene Auseinandersetzung mit dem Lebendigen vernachlässigt wird oder
  • ob die Bezüge des Seins und Zusammenhänge in den Fokus genommen werden.

In der Vielfalt der heutigen westlichen Gesellschaften reicht es auch nicht mehr aus, einen neuen „-ismus“ auszurufen, Bestehendes zu verdammen oder etwas als die einzige Wahrheit zu definieren. Die Zeit scheint zu enden, in der ein erfolgreiches Leben (Geld und Status) erfüllender war als ein gelingendes (in der Tiefe befriedigend) bzw. ein nachhaltiges (vor allem ökologisch verantwortlich) allein Teil eines ganzheitlichen (bezieht alle Lebensfacetten ein) Lebens ist.

Dritte Schlussfolgerung

So scheint mir die eigene Forschungsreise zum Leben mit anderen Menschen eine Verbindung zu schaffen, um den Erfolg (das Erreichen eines Ziels) und das Empfinden des Gelingens (eine tiefer empfundene Ebene) zu verbinden. Das Neue wird durch die Polarität von Ökonomie und Idealismus modelliert und wächst über persönliche Ansprüche, über die einzelnen Bereiche eigener Identität hinaus. Diese Entwicklung lässt die Schattenseiten (Verletzungen im Leben) sowie die eigenen Identifikationspunkte bewusster werden und ermöglicht es, sich durch einen vertrauensvollen Austausch mit anderen seiner eigenen „Würde“ bewusst zu werden.

Das Wort „Würde“ hat dabei allein schon durch seinen Klang die Möglichkeit Menschen zu verbinden. Es schafft eine Art 'Fluidum' zwischen anscheinend absoluten Lebenskonzepten und deren Verhaltenscodizes. In „gelebter Würde“ blühen neue Chancen – und eine Kraft wird spürbar. Denn „Würde“ trägt die Identität eines Homo oeconomicus ebenso wie die des Homo idealistic und stellt die Grundlage des Homo sapiens dar.

Abschluss

Somit sehe ich in der ‚Würde‘ ein sehr zerbrechliches ‚Etwas‘, das ich gerne mit großer Sorgfalt und einem neuen Modus für die Unternehmen und Organisationen ausgestalten würde. ‚Würde‘ kann sehr wirkungsvoll sein, gehen wir die Forschung und deren Ausgestaltung gemeinsam an?

Rückfragen gerne an: Michael Beilmann – Michael.Beilmann@wuerdekompass.de

„Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade von Stephan Grabmeier teil „FutureBusiness - Kopföffner für besseres Wirtschaften“ und freuen uns diese Bewegung mit zu unterstützen“

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