Was geschieht, wenn Menschen sich ihrer Würde tatsächlich bewusst werden?
Niemand kann sein Leben ändern, aber jeder Mensch kann sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens dafür entscheiden, fortan anders zu leben als bisher. Etwas bewusster vielleicht, etwas achtsamer gegenüber sich selbst und auch anderen gegenüber.
Mehr im Einklang mit sich undder Natur, zuversichtlicher und auch wieder etwas neugieriger. Es ist denVersuch wert. Und es ist ganz einfach. Beispielsweise können Sie anderePersonen, anstatt an ihnen vorbeizugehen als wären sie Luft, auch anlächeln.Sie können sie einladen, ermutigen und inspirieren, sich auf eine neueErfahrung einzulassen, anstatt ihnen zu sagen, was sie und wie sie etwas machensollen. Es ist gar nicht schwer, sich bei allem etwas mehr Zeit zu lassen, dieNahrungsmittel, die Sie zu sich nehmen, sorgfältiger auszuwählen als bisher undsich auch körperlich gelegentlich zu betätigen. Es schadet nichts, wenn Siedabei ins Schwitzen geraten. Wer sich darauf einlässt, beginnt auch wieder,sich zu spüren. Und dann erwacht auch wieder die Freude an Bewegung, amSingen, Tanzen und Musizieren oder zumindest am Wandern und Radfahren. Das gehtalles. Damit können Sie noch heute beginnen. Und wenn Sie sich in dieser Weiseauf den Weg machen, entwickelt sich – von ganz allein – auch ein anderesLebensgefühl. Und damit verändert sich Ihr Leben von ganz allein. Es wirdwieder freudvoller, liebevoller, auch würdevoller. Und wer anderen mit diesemGefühl begegnet, wird auch erleben, wie ansteckend es ist. So verändert sichdann nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Zusammenleben mit diesenanderen Personen. Es passt alles wieder besser, ist kohärenter geworden.
Sicher lässt sich dieserBewusstwerdungsprozess noch einige Zeit hinauszögern, aber dauerhaftaufzuhalten ist er nicht. Er ist als Möglichkeit, als Potential in uns Menschenangelegt. Aber solange wir uns gegenseitig zu Objekten unserer Absichten undZiele, unserer Erwartungen und Bewertungen oder gar unserer Maßnahmen undAnordnungen machen, kann sich dieses Potential nicht entfalten. Sobald es unsals Familie, als Nachbarn, als Mitglieder eines Teams aber gelingt, einanderals Subjekte zu begegnen, ist die Entfaltung der in jedem Einzelnen wie auchder in der betreffenden Gemeinschaft angelegten Potentiale unvermeidbar.Potentialentfaltung ist also der zwangsläufige und von ganz allein ablaufendeProzess. Er lässt sich nur durch eine Art des Umganges miteinander aufhalten,die das tiefe menschliche Bedürfnis nach Verbundenheit und Geborgenheiteinerseits und Autonomie und Freiheit andererseits verletzt.
Ein sehr anschauliches Beispiel fürdie Folgen der Bewusstwerdung der eigenen Würde: ist der von den meistenMenschen völlig unerwartete Zusammenbruch des DDR-Regimes in Ostdeutschland.
Niemand hätte sich Mitte der 1980erJahre vorstellen können, dass es innerhalb der nächsten Jahre zu einem völligenZerfall, zur völligen Auflösung der von den damaligen Machthabern geschaffenenund aufrechterhaltenen Strukturen kommen könnte. Eingeleitet und in Ganggesetzt wurde diese Entwicklung durch eine wachsende Anzahl von Bürgern, dienicht länger bereit waren, sich als Objekte staatlicher Vorgaben undRepressalien behandeln zu lassen. Die sich ihrer Würde als Menschen bewusst zuwerden begannen. Die sich montags in den noch einigermaßen geschützten Räumender Kirchen versammelten und ihre Würde anschließend mit Kerzen in den Händenund dem Ruf „Keine Gewalt“ auf den Straßen und Plätzen ihrer Städte zumAusdruck brachten. Diesen friedlichen Demonstrationen sich ihrer selbst bewusstgewordener Bürger hatte der autoritäre Machtapparat der damaligen Regierungnichts entgegenzusetzen. Und als von dieser Bewegung eine ständig wachsendeAnzahl von Bürgern erfasst wurde und „Wir sind das Volk“ zu rufen begann,zerfielen die von den Machthabern geschaffenen Lenkungs-, Herrschafts- undKontrollstrukturen. Repressive Systeme verlieren offenbar ihre Kraft undbeginnen sich aufzulösen, wenn die bis dahin unterdrückten, kontrollierten undin Abhängigkeit gehaltenen Menschen ihre Subjekthaftigkeit wiederentdecken undsich nicht länger wie Objekte behandeln lassen.
Wie aber am Beispiel desZusammenbruchs des Ostblocks deutlich wird, geht die Forderung nach eigenenGestaltungsmöglichkeiten und mehr Freiheit nicht zwangsläufig auch mit einerBewusstwerdung der eigenen Würde einher. Allein durch die Befreiung vonbisheriger Unterdrückung kommt es im Gehirn der meisten Menschen zu keinertiefgreifenden Veränderung der dort entstandenen Muster. Sie bleiben in den vonihnen gefundenen Lösungsstrategien zur Bewältigung ihres Schmerzes gefangen, solange als Objekte behandelt und benutzt worden zu sein. Die häufigste undwirksamste davon bestimmt nun auch weiterhin ihr Denken, Fühlen und Handeln:Sie machen andere zu Objekten ihrer Erwartungen, Bewertungen und – wenn sie inMachtpositionen gelangen – ihres Handelns. Die dafür verantwortlichen neuronalenVerknüpfungen in ihren Gehirnen lösen sich eben nicht dadurch auf, dass ihrebisherigen Unterdrücker weg sind. Die können nur durch neue, das Bewusstseinihrer eigenen Würde stärkende Erfahrungen überformt werden.
Das geschieht aber nicht dadurch,dass diese Menschen nun plötzlich in einer freiheitlich-demokratischenGesellschaft leben. Sie müssten spüren, dass sie dort auch von ihren Mitbürgerngesehen, wertgeschätzt und ernst genommen werden. Dass sie nicht weiter zuObjekten gemacht werden. Dass ihnen andere Menschen – auch Politiker,Meinungsmacher, Vorgesetzte, Lehrer und Verwaltungsangestellte – so begegnen,dass das Empfinden, die Vorstellung und das Bewusstsein ihrer eigenen Würdegestärkt wird.
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