Einführung

Kann das Thema „Würde“ in eine ungewisse Zukunft hinein gerettet werden? In folgendem Text führe ich zuerst einige Gedanken zu unseren humanistischen Prägungen aus, mit denen wir Menschen in der heutigen Zeit konfrontiert sind. Im Anschluss daran stelle ich mein Verständnis von „Würde“ vor und schließe damit, wie sich die Initiative „Würdekompass“  zu ausgewählten transhumanen Trends positionieren könnte.

Welche Zukunft zeichnet sich schon jetzt ab? Sie ist gekennzeichnet durch Globalisierung und Digitalisierung. Diese rauben der Menschheit ihre Grenzen für die als sicher geglaubten Grundbedingungen des Lebens. Der Mensch drängt nicht nur in den Weltraum vor, sondern gleichzeitig ergründet er mehr und mehr die kleinsten Einheiten des Lebens. Neben dem weltweit vorhandenem und über die Medien kommunizierten Massenelend von Menschen in Krieg, Hunger, Krankheit wird auch die Privatsphäre immer öffentlicher. Daten der Welt werden von monopolartigen Unternehmen gebündelt und normative Vorgaben gesellschaftlicher Strukturen immer brüchiger.

Die Bedeutung humanistischer Prägungen in der Gegenwart

Im Spannungsfeld schon fast retroromantisch anmutender humanistischer Hoffnungen und zukunftsorientierten Visionen bewegen sich meine Gedanken. Einerseits fühlen sich die persönlich als schön empfundenen, gefühlsbasierten und aus Liebe gespeisten Vorstellungen eines "alles ist richtig, wenn es sich gut anfühlt“ gewohnt an, und andererseits bestimmen verschiedene scheinbar unvorstellbare Visionen einer den Menschen bestimmenden Technik - die schon jetzt sehr offensiv den Alltag des Menschen bestimmt – smart phone und seine Omnipräsenz als nur ein Beispiel, den Alltag.

Einheit, Glauben, Freiheit und Vertrauen, die seit 200-300 Jahren als humanistische Parameter gelten, begünstigen subjektive Interpretationen der Wirklichkeit und vernachlässigen, was uns als Homo Sapiens in die Erfolgsgeschichte der Gegenwart – vor allem der westlich geprägten Kultur - geführt hat. Die Prägungen des westlichen Lebensmodells der letzten Jahrhunderte kennzeichnet sich vor allem durch Werte, die von einem technologisch-ökonomischen Fortschritt getragen werden. Vor allem diese Fortschrittswerte haben sich wie ein Virus über die Welt ausgebreitet, dem Homo Sapiens das Leben erleichtert, und stellen die Entwicklung des Bewusstseins in die zweite Reihe. Denn im Rahmen der Industrialisierung war es nicht das Ziel das persönliche Bewusstsein zu erweitern, sondern die faktischen Zusammenhänge im Leben besser zu verstehen und dem Leben immer mehr an Glück, Lebensdauer und Zufriedenheit abzugewinnen. Drei Thesen möchte ich daher hier hervorheben:

1. These:

Das menschliche Bewusstsein unterscheidet sich im Kern nicht wesentlich von dem unserer Vorfahren. Das Reptilienhirn mit Wut, Angst und Liebe dominiert noch immer einen Großteil des Lebens und der Neokortex verschafft dem Menschen vor allem neue Erkenntnisse in Bezug auf Komfort und Schnelligkeit. So differenzieren sich die kognitiven Kompetenzen, auf der Basis der beiden genannten Motive, immer mehr und schaffen dadurch eine Vielzahl an Experten. Diese daraus entstehende unübersehbare Wissenstiefe, in Verbindung mit dem GAP einer Unbeherrschbarkeit menschlicher Anlagen, schafft eine Unübersichtlichkeit. Das Leben wird häufig immer weniger als Ganzes betrachtet, sondern eher als undurchschaubares komplexes Etwas, in dem die Teile bedeutender werden als der Blick über den eigenen steuerbaren Teil.

2. These: 

Die über eine lange Zeit Sinn stiftenden religiösen Organisationen erleben einen erhebliche Bedeutungsverlust. Sie prägten in den letzten 20.000 Jahren das Bild des Menschen so sehr, und gaben ihm Sinn und Autorität im Leben. Doch verlieren gerade diese in den westlichen Kulturen an Wirkung. Vor allem den monotheistischen Religionen geht es darum, dass eine schöpferische Allmacht der Ursprung des Lebens ist. Dieser hoffnungsspendende Glaube verliert merklich an Fundament, da sich vor rund 200-300 Jahren humanistische Ideale ausbreiteten. Die aus persönlichem Gefühl, erlebten Erfahrungen und einer Dominanz des freien Willens bestehenden Parameter nehmen heute schon für viele Menschen fast religiöse Züge an.

3. These: 

Das Leben des einzelnen Menschen ist durch eine sich stetig beschleunigende digitale Arbeitswelt gekennzeichnet. Die Erfolge des europäischen Kontinents verblassen bei weltzentrischer Betrachtung mehr und mehr. Obwohl sich ihre humanistischen Werte von Arbeit in den letzten Jahrhunderten sich über den Globus verteilten. Im diesem Kontext dominiert noch immer das Wachstumsideal und somit auch die Gewinnmaximierung den Lebenszusammenhang der Menschen. Der gegenwärtige Versuch des Westens, menschlich gestaltete Unternehmensstrukturen, als möglichen nächsten Schritt auf der Skala des Fortschritts, umzusetzen (z.B. die Entwicklung zu humanerer Arbeitsbedingungen), scheint bei vielen Staaten und deren Unternehmen, noch nicht zu wirken. Denn hier haben Wirtschaftswachstum und persönliche Erfolgsdefinitionen prioritären Charakter, so dass humanistische Prinzipien scheinbar eher den technologischen Möglichkeiten geopfert werden.

Auf der Basis dieser drei ausgewählten Annahmen, die ich als logische Schlussfolgerung ehemaliger humanistischer Hoheitsansprüche ansehe, erscheint das Thema der „Würde“ nun anfänglich wie ein Fremdkörper zu wirken. Obwohl sich „Würde“ als oberstes Gebot in vielen Verfassungen finden lässt, sehe ich diese durch die transhumanistischen Trends im Kern gefährdet.

Würde?

Denn „Würde“ kann nicht mathematisch eindeutig definiert werden. Sie scheint allein subjektiv empfunden und nur wenig Verbindlichkeit zu erzeugen. Doch kann „Würde“ als ein einerseits den Menschen auszeichnendes, ideologiefreies und religionsübergreifendes Konzept aufgefasst werden, mit den Möglichkeiten ein gelungenes Miteinander zu gestalten. Ein mögliches würdevolles Handeln und Leben erwächst dann zwischen Menschen, die sich in den jeweiligen Kontexten undogmatisch und lebensnah gemeinsam begegnen. So beschäftigt sich „Würde“ mit den sich in den Kontexten verändernden Lebenstugenden wie z.B. Achtsamkeit, Respekt, Wertschätzung und Offenheit. Andererseits kann „Würde“ auch als ein im Menschen angelegtes Entwicklungskonzept verstanden werden. Dies geht über die Erfahrung eigener persönlicher Individualität und entwickelter Identitätsmodelle hinaus und vermag zu erkennen, welches Wachstum über "gelebte Würde" einhergeht. Praktisch umgesetzt erscheint "gelebte Würde“ zwar nicht greifbar, jedoch für jeden fühlbar.

Dabei tragen auch viele Organisationen der Zivilgesellschaft den Aspekten der „Würde“ schon jetzt Rechnung. Deren Zweck liegt darin soziale, ökologische und kulturell sinnstiftende Aufgaben zu erfüllen. Die dabei zugrunde liegende Identität wird oft auch schon als würdevoll bezeichnet. Sie könnten auch aus ihren Tätigkeitsfeldern heraus eine Führungsrolle beim Thema „Würde“ beanspruchen. Doch erscheint mir, nach vielen Jahren aktiver und passiver persönlicher Erfahrung in und mit diesen Organisationen, die Kraft eine vor allem neutrale würdevolle Bewegung zu gestalten, eher zur Zeit begrenzt zu sein.

Die „Initiative Würdekompass“ und Skizzen transhumaner Projekte

Daher ermöglicht die Initiative „Würdekompass“ eine Metaebene einzunehmen. Über ein offenes co-kreatives Angebot zur Gestaltung des Lebens in „Würde“ kann sich spürbar das Verhalten für ein neues Miteinander ergeben. Denn wie in den oben skizzierten Herausforderungen schon beschrieben, befinden wir uns in einer für den Homo Sapiens entscheidenden Zeit, bei der es um eine Neudefinition seiner Lebensumstände geht. Eine einfache äußere Veränderung oder allein ein persönlicher innerer Wandel, um die Zukunft zu gestalten, wird nicht mehr ausreichen. „Würde“ stellt hier einen Sehnsuchtsbegriff dar, und bietet die Chance sich in der heutigen Pluralität von sinnstiftenden Angeboten wieder neu und ethisch "neutral" zu begegnen.

Aus den „Würdekompass-Gruppen“ können auch Projekte entstehen, um sich mit den transhumanistischen Konzepten zu beschäftigen. Diese Konzepte sprechen von Cyborgs (halb Mensch halb Maschine) und von einer ungeheuren Menge an Daten, die wir als Mensch nicht mehr steuern können und die letzlich den Menschen beherrschen. Weiterhin sind es nicht nur Hirngespinste, bei denen der Großteil der Menschen durch Maschinen abgelöst werden könnte, und somit auch in einer neuen Zweiklassengesellschaft münden, bei der eine technische Elite eine arbeitslose Masse Mensch dominiert.

Zu all diesen Szenarien kann gelebte „Würde“ ein Pendant bieten. Denn „Würde“…

  1. schafft Beziehung, Befriedigung, Sinn und Bedeutung im Leben, ohne sich über die alleinige Wahrheit des einen "richtigen" Konzepts, der einen "richtigen" Ideologie oder der einen "richtigen" Glaubensvorstellung einigen zu müssen.
  2. ist eine dem Menschen innewohnende Kraft und resoniert im gegenseitigen Kontakt.
  3. erwartet im Grunde nicht, denn sie ist doch alles was den Menschen zum Menschen macht.
  4. kann nicht in allgemeinverständliche Worte gefasst werden. Sie kann nur von Moment zu Moment gelebt, erfahren und genossen werden.

Dies erfordert jedoch eine gewisse Reife und vor allem Bereitschaft sich aus seinen persönlichen Meinungen und vorgefassten Glaubenssätzen zu befreien. Ein offener Austausch und praktisches gemeinsames Tun allein schon lässt einen würdevollen Raum entstehen, aus dem auch Antworten resultieren können, die ein eher abgewogenen Nutzen technologischer Zukunftsthemen entstehen lässt.

Schlussfolgerungen

So kann Mensch qua seines Naturels nicht mit dem zufrieden sein, was er erreicht hat - das wäre dem Menschsein nicht angemessen. Doch können die Einstellungen zu den Fakten des Alltags und den daraus resultierenden Handlungen variieren. Denn ich gehe davon aus, dass Entscheidungen unter einem Diktat von rein ökonomischen und technologischen Gesichtspunkten anders aussehen als auf der Basis würdevoller Abgewogenheit. Es wird eine Utopie sein bio-, gen- oder nanotechnologische Forschungen oder Projekte über idealisierende Konzepte und Taten stoppen zu wollen. Doch vielleicht ist es genauso meine Utopie, das Überleben des Homo Sapiens auf diesem Planeten, über die Gestaltung würdevoller Lebenskontexte, noch etwas herauszuschieben.

Erfolge einer Beteiligung in einer der sich neu gründenden "Würdekompass-Gruppe" jedoch sind unabwendbar. Denn "gelebte Würde“ wird vor allem die Gegenwart eines jeden Mitgestalters bereichern. Es kann helfen sich aktiv damit zu beschäftigen, auf welchen Wegen transhumane Konzepte schmerzvolle Krankheiten besiegen wollen, Leben zu verlängern versuchen und dem Hunger mehr und mehr Linderung verschaffen. Nur im Wissen dessen was gerade geschieht und noch geschehen könnte, kann die Gegenwart gestaltet werden.

Sich mit dem Motto „etwas mehr Würde bitte“ zu beschäftigen, mag vielleicht auf den ersten Blick als ein edler und träumerischer Ansatz angesehen werden. Doch auf den zweiten Blick ist der Einsatz für diese Initiative im Grunde sogar auch egoistisch. Denn hierbei geht es ja letztlich um das eigene qualitätsvolle und lebenswerte Überleben in einem würdevollen Lebenskontext für sich und seine Kinder. Sicher basieren meine Gedanken auch auf humanistischen Idealen, so dass die Initiative "Würdekompass" in diesem Bewusstsein dann auch wieder in die Zeit passt. Denn wer, wenn nicht wir, stehen in der Verantwortung aktiv an der Zukunft mitzuwirken? Wenn nicht jetzt, wann dann?

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